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Die Weinfreuden Italiens und der Rotkrebs

30 Jahre ist er nun schon alt, der berühmte und immer wieder heiß diskutierte rote Weinführer Italiens. Lange hieß er „Vini d’Italia“, wurde aber schon damals meist „der Gambero Rosso“ genannt. Was nur zum Teil stimmte, da das jährlich verlegte Werk eine Coproduktion der italienischen Lebensmittelkoryphäen Gambero Rosso (übersetzt „Roter Krebs) mit Sitz in Rom und Slow Food im piemontesischen Bra war. Es kam irgendwann, wie es wohl in so manch italienischer Ehe üblich ist, zu Meinungsverschiedenheiten, Kompetenzgerangel und schließlich im Jahr 2009 sogar zum Bruch. Seit 2012 bringt nun Gambero Rosso das Werk in Eigenregie auf den deutschen Markt, mittlerweile als „Weine Italiens“.

Gambero Rosso Vini d'Italia 2016
Jahr für Jahr werden in den Sommermonaten mehrere zehntausend Weine von den Verkosterteams (etwa 60 Personen stark) blind verkostet und beschrieben – 2016 gelang etwa der Hälfte der ursprünglich 44.000 eingereichten Weine von 2.400 Winzern der Einzug ins Buch. Die begehrte Top-Prämierung der Drei-Gläser-Wertung („trebicchieri“) erhielten diesmal satte 421 Weine (vor zehn Jahren waren es noch 246). Und um das Top noch mal zu toppen, werden jährlich Sonderpreise für den besten Schaum-, Rot-, Weiß- und Dessertwein sowie an das Weingut, den Önologen und das Nachwuchstalent des Jahres vergeben. Die jüngsten Sonderprämien gehen an den Wein mit dem besten Preis-Leistungsverhältnis sowie an das Weingut mit der besten Nachhaltigkeitsstrategie. Seit einigen Jahren wurden die Sonderprämierten auf der Pressekonferenz vorgestellt, was schon überaus charmant war – anlässlich des Jubiläums gab es erstmals eine geführte Verkostung der neun Top-Erzeugnisse.

GR Sabellico und Team
Das Schöne daran: Das dreiköpfige Kuratorenteam des Gambero Rosso begründete erstmals seine Entscheidungen und Jens Priewe ergänzte mit seinen Kommentaren herrlich unaufgeregt (und deshalb umso überzeugender) die Sicht der italienischen Jury um die des überaus erfahrenen deutschen Weinjournalisten. Mit dabei waren wieder einige Top-Stars der italienischen Weinszene, allen voran mit dem Schaumwein des Jahres das Weingut Ca del Bosco mit seinem Franciacorta Dosage Zéro, Noir Vintage Collection Riserva 2006. Der Gamberist Marco Sabellico und Weinautor Jens Priewe hoben zwei Punkte hervor: Es sei ungewöhnlich und selten, ausschließlich Pinot Noir (also eine rote Rebsorte) für den Franciacorta zu verwenden (meist würde die Rebsorte mit etwas Chardonnay kombiniert) – dieser stamme zudem aus einer recht hohen Lage. Und es sei kein Wunder, dass diese Top-Weine nach wie vor nur selten den Weg vom Lago d’Iseo in der Lombardei auf deutsche Tische schaffen, denn 90 Prozent trinken die Italiener nach wie vor selbst. Und wer sich schon mal mit den Prickeleien der Franciacorta auseinandergesetzt hat, versteht sofort, dass diese sich wahrlich nicht denen der Champagne verstecken müssen.
Schiopetto aus Friaul Julisch-Venetien wurde für seinen Collio Friulano 2014 mit dem Preis für den besten Weißwein ausgezeichnet – der Preis sei auch als Hommage an Mario Schiopetto zu verstehen, der in den vergangenen 50 Jahren viel dazu beigetragen hatte, dass die Weißweine Italiens national wie international neu bewertet wurden.
Das am Kalterer See in Südtirol gelegene Weingut Manincor wurde für seinen Nachhaltigkeitsgedanken ausgezeichnet und wir konnten anhand des A.A. Terlano Sauvignon Tannenberg 2013 verkosten, was Michael Graf Goëss-Enzenberg meint, wenn er sagt: „Nach unserem Verständnis muss Nachhaltigkeit (…) Lebenshaltung sein, damit sie dazu beiträgt, die Ressourcen dieser Welt nicht aufzubrauchen.“ Der über Spontanhefen entstandene Wein zeigt sich im Degustationsglas kräftiger und charaktervoller als so mancher andere an diesem Nachmittag. Ich würde den Jahrgang vermutlich trotzdem noch ein bis zwei Jahre im Keller liegen lassen.

GR Pietradolce

Ich bin ja ein großer Freund autochthoner Rebsorten, also solcher, die eben nur in ganz eng umschriebenen Regionen wachsen. Die aus ihnen gekelterten Weine sind mitunter zwar ein wenig sperrig und erfordern mehr Auseinandersetzung als die aus weltweit angebauten Gefälligkeitstrauben wie Chardonnay, Cabernet Sauvignon oder Merlot, aber sie entfalten dann ihren kantigen Zauber und somit sehr eigenständigen Charme. Eine dieser Rebsorten heißt Nerello Mascalese und wächst an den Hängen des Ätna. Ebenso kräftig wie in seiner granatroten Farbe (im Foto im rechten Glas) zeigt sich der Rotwein des Jahres, Etna Rosso V. Barnagallo 2012 von Pietradolce (übersetzt „Süßes Gestein“), auch bei näherem Beschnuppern beerenduftend und kantig und erdig nimmt er sich dann auch seinen Raum im Mund. Er ist auch einer, der nach meinem Geschmack noch ein wenig liegen dürfte – aktuell hat er für mich noch ein wenig viel Tannin (ein Gerbstoff in der Schale roter Weintrauben, der den Mund trocken werden lässt).

GR Vigna del Cristo

Nach langen Jahren als Kommunikationsverantwortliche für Weinbücher, Wein- oder Lebensmittelregionen, Handelskammern, Winzer und auch Weinhandlungen kenne ich noch immer einige Menschen, die sich beruflich mit Genussthemen befassen und die Gambero Rosso-Präsentation war natürlich ein wunderbarer Anlass, viele von ihnen wieder zu sehen und einen Plausch rund um Fachliches und das Leben im Allgemeinen und Speziellen zu genießen. Und wenn dann echte Kenner der Szene mich auf einen Wein hinweisen, den sie wirklich mögen, dann nehme ich die Gelegenheit sehr gerne wahr, ihn zu probieren. Dass es diesmal ausgerechnet ein Lambrusco (in meinen Studentenzeiten in den 1980ern gab es schrecklich pseudoliebliche Supermarktbilliglambruscos, die für ordentlich Schädelweh sorgten) war, den der aus Wien angereiste Helmut O. Knall mir ans Verkostungsherz legte, freut mich sehr – so konnte ich einmal mehr mit dem Vorurteil von damals aufräumen. Der oben gezeigte Lambrusco di Corbara V. del Cristo 2014 stammt vom Weingut Cavicchioli U. & Figli aus der Emilia Romagna und sollte von jedem getrunken werden, der sich beim aktuellen Schmuddelwetter umgehend auf eine sonnige Abendterrasse mit Blick und Dolcefarniente-Feeling zaubern möchte. Vor dem inneren Auge funktioniert das prima mit einem Glas (oder zwei …) von diesem Weingut. In München gibt es den Wein wohl bei Spina.

GR Casal Farneto

Die Veranstalter hatten sich dieses Jahr ins BMW Museum eingemietet und so wenig die Themen Auto und Alkohol sonst zusammenpassen, so hübsch war es doch, den Blick immer wieder auch über alte und neue Autodesigns schweifen zu lassen. Und doch gehören die Themen Mobilität und Genuss in den deutsch-italienischen Beziehungen irgendwie auch beim Weinführer zusammen: Die deutsche Ausgabe der roten Weinbibel, die lange Jahre bei Hallwag verlegt wurde, trug lustigerweise seit 1990 massiv zum Erfolg der italienischen Originals bei. Denn Blindverkostungen wie von Gambero Rosso waren Ende der 1980er Jahre in Italien noch recht revolutionär und so beäugte die einheimische Weinwelt das Werk und seine Herausgeber zunächst kritisch. Als jedoch erste deutsche Fachhändler und Weinliebhaber mit dem Buch unter dem Arm anreisten, waren die Winzer rasch vom Wert des Guides überzeugt. Mittlerweile gibt es auch Ausgaben in englisch, chinesisch und japanisch und die Verkostungstour führt die Winzer nahezu einmal rund um die Welt. Und doch bleibt Deutschland immer noch der wichtigste Absatzmarkt für italienische Weine.
Was mich und meinen Gaumen doch immer wieder sehr erfreut …

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Ich bedanke mich bei Gambero Rosso und der wunderbaren Trudi Brülhart (für mich der weibliche Wein-PR-Guru) herzlich für die Einladung.

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