Wie auch immer man nun welche Kleinbackwaren wo auch immer bezeichnet, ist schlicht und ergreifend regionenspezifisch. Nichts spricht dagegen, nichts wirklich dafür – es ist nun einfach so. Und doch geben Semmeln und Brötchen immer wieder Anlass, sich gewaltig zu mokieren.
Ich bin nahe München geboren, mit Semmeln (und vor allem Brezn) aufgewachsen und hatte in meiner Kindheit und Jugend ein weiteres Standbein in Norditalien. Vielleicht lag’s ja an der frühcasowischen Erfahrung mit Panini und Rosette, dass ich nie etwas dabei fand, mich sprachlich (und kulinarisch) meiner regionalen Umgebung anzupassen. Als ich jedenfalls in Innsbruck studierte, kaufte ich ganz nach Gusto und Budget Hand- oder Maschinensemmeln und belegte sie mit zwei dag (gesprochen: deka) Extrawurst. Denn so nennen die Tiroler 20g Fleischwurst. Mir brach kein Zacken aus der Krone, mich ihrer Diktion anzupassen. Warum auch – ich fand ja dort mein neues Zuhause. Also gab’s auch Paradeiser statt Tomaten, Karfiol statt Blumenkohl, Vogerl- statt Feldsalat, Schlagobers statt Schlagrahm alias Süßer Sahne und im Frühherbst Marillenknödel, die anderswo Aprikosenklöße oder -knödel genannt werden würden. Das tat gar nicht weh – es schmeckte sogar gut.
Als ich später in Hamburg lebte, kaufte ich Brötchen und Franzbrötchen, die Innsbrucker Fleischlaiberl und heimischen Fleischpflanzl benannte ich dort als Frikadelle oder Hackebällchen. Und statt des Radlers gab es eben Alsterwasser zu trinken. Einzig die bairischen Bekräftigungsworte „gell“ und „fei“ wollten nicht weichen – und charmanterweise gellten und feiten die nordischen Kolleg/-innen bald ein bissl mit. Dafür schlich sich „da nich für“ in meinen Sprachschatz und hat sich bis heute fröhlich gehalten.
Back to Munich sehe ich mich allerdings immer wieder ob der Existenz von „Semmeln“ angegriffen. Und werde wohl nie so ganz verstehen, warum insbesondere Nordwestlichter sich so fürchterlich grausen vor dem bösen bösen Wort. Wir „Seppeln“ könnten doch nun endlich mal von unserem dämlichen Stolz ablassen und endlich endlich als Brötchen benennen, was als Brötchen geboren wurde – so tönt es immer wieder.
Nun lade ich Semmel-Verachter auf folgenden Gedankenspaziergang ein: Hättet Ihr Euren Lebensmittelpunkt nicht im Oberbayerischen, sondern in NRW – wie würde es auf Euch wirken, wenn der Göttergatte oder die Lebensabschnittsgefährtin beim Betreten der Bäckerei auch nach Jahren immer noch „Semmeln“ verlangen, in Eurer Stammkneipe ein „Radler“ ordern und Euren Müttern Komplimente für ihre fantastischen „Fleischpflanzl“ machen würde? Nachdem es ja schon hier so viel Spaß zu bereiten scheint, sich über die eingebildeten, alpenländischen „Seppeln“ in ihren Lederhosen zu amüsieren – wie hoch wäre Eure Witzequote auf einer Skala von 0 (gar nicht) bis 10 (sehr hoch)? Bei 15? Oder bei 17? Würde es Euch etwas ausmachen, wenn der Partner/die Partnerin sich so ortsunüblich verhält und dadurch immer wieder auffällt (vor den Freunden, der Familie)? Oder würdet Ihr galant darüber hinweg sehen?
Eine nicht-bayerische Mutter erwähnte jüngst, dass der Arzt die Sprachfähigkeit ihrer nahe München lebender Kinder als altersüblich gelobt habe. Und sie ergänzte voller Stolz, dass sie sehr glücklich sei, dass „die Kurzen“ so wunderbar Hochdeutsch sprechen. Ja – darin stimme ich mit ihr überein: Hoch- (heute eher Schritft-)deutsch schadet niemandem. Und zugleich ergänze ich: Die heimische Sprachfärbung, ja auch der heimische Dialekt lässt einen nicht nur die eigenen Wurzeln spüren, er kann mitunter auch überaus hilfreich sein. Und abgesehen davon: Ich liebe diese kleinen Unterschiede zwischen uns, die sich in Redensarten, Produktbezeichnungen und auf den Tellern wiederfinden. Manche mehr, manche weniger. Ich finde es einfach wunderbar, dass wir kein Einheitsbrei sind.
Was aber veranlasst jemanden, seiner/ihrer neuen Lebensumgebung nach mehr als sechs Jahren immer noch vehement die Wertschätzung zu verweigern, ihr sprachlich ein wenig die Ehre zu erweisen? Sind Worte wie Semmel und Fleischpflanzl denn so widerwärtig? Wohlgemerkt: wir sprechen von „Semmel“ und „Grüß Dich“ und nicht von „Semmi“ , „Griaß Di“ oder gar dem Butter, dem Teller, dem Monat und Co. Es sind lediglich Teil der Sprach- und Genusskultur einer Region.
Die Vehemenz der Ablehnung von Semmel & Co. nehme ich als verletzend wahr – nicht für mich, aber eben doch für meine Heimat. Und das stimmt mich traurig. Und bringt mich zu der Frage: Weshalb erwarten Menschen Respekt und Wertschätzung für sich, wenn sie sie selbst nicht leben und ihrer Umgebung, ihren Mitmenschen zuteil werden lassen?
Wie heißt’s bei Twitter immer wieder?
So traurig.