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Einfach mal Fontainebleau machen – fürs kaiserkönigliche Gefühl

Zack, ist der Sommer schon vorüber und leider war bei mir zu viel los, um einen schönen Sommerurlaub genießen zu können. Ein paar Am-Stück-Tage Abstand von Alltag und Job tun aber not und so habe ich mir neben dem Plan, dieses Jahr nun doch endlich mal den niederländischen „Red Head Day“ zu besuchen, ein paar Gedanken gemacht, wohin es mich ziehen könnte. Die Paris-Eindrücke meiner beiden Frühjahrsbesuche sind immer noch sehr präsent und es wäre durchaus verlockend, aller guten Reisen auch mal drei sein zu lassen und noch eine Herbst-Tour in Richtung Seine anzutreten.

Da ich ja seit einigen Jahren das früher so geliebte Wohnwirrwarrgewimmel der Stadt gegen die (manchmal auch Pseudo-)Ruhe eines Vororts eingetauscht habe und dabei insbesondere viel Grün, die Beschaulichkeit des Dorfs und etwas Entschleunigung genieße, stünde diesmal neben so mancher Kulturverlockung der Stadt auch wieder ein Ausflug ins Umland auf dem Programm. Im Frühjahr führte die von Atout France und seinen Partnern initiierte Kulturreise unsere internationale Journalisten- und Bloggergruppe auch nach Fontainebleau. Bei bleauestem Strahlewetter ging’s etwa eine Stunde lang raus aus der Stadt, über die Stadtautobahn durch die Suburbs, die – wie überall – meist doch leider jeglichen Charmes entbehren. Allmählich wurde es ländlicher, der Blick aus dem Fenster märzgrüner und somit auch ruhiger fürs Auge. Entspannter. Das Plattland wandelte sich auf der Landstraße schließlich in einen Wald noch unbelaubter Eichen und anderer Bäume, die gerade ihr erstes Blattwerk erahnen ließen. Noch ein oder zwei Verkehrskreisel (ich bitte zu verzeihen, dass ich den korrekten Ausdruck dafür nicht benutze – bei uns wurden diese „Roundabouts“ immer nur „Pudding“ genannt) – und schon befanden wir uns in einem filmreif entzückenden französischen 14.000 Einwohner-Städtchen.

Der Ort Fontainebleau – ©casowi

Da säße es sich sicher gut mit Croissant und Café au lait …  – ©casowi

Ein Ort mit grausteinernen oder weißgetünchten Häusern, weißen Sprossenfenstern und manchmal auch bunten Haustüren. An mancher Ecke hatte ich das Gefühl, gleich käme die chocoladige Amelie aus der Tür, an anderen meinte ich, Yves Montand ein Chanson trällern zu hören. Plötzlich zogen sich schmiedeeiserne Zäune entlang einer Baumreihe, wurden zunehmend prächtiger – und dann: Châteaux Fontainebleau mit der berühmten Treppe in Form eines doppelten Hufeisens.

Der Eingang von Châteaux Fontainebleau mit seiner berühmten Hufeisen-Treppe ©casowi

Was für ein Ort: 800 Jahre Historie auf 130 Hektar Land – gestaltet, gefüllt und bewohnt von 34 Königen und zwei Kaisern, darunter Evergreens der Geschichtsschulbücher wie Marie Antoinette, Heinrich IV, die Ludwige XV und XVI sowie drei Generationen Napoléons.
Stück um Stück ließen die Damen und Herren Monarchen die Anzahl der Zimmer auf unglaubliche 1.500 anwachsen. 105 sind heute der Öffentlichkeit zugänglich, der klitzegroße Rest wird in einem flughafenähnlichen Mammutprojekt bis 2026 komplett restauriert werden. Darunter befinden sich ganze Trakte an Stallungen, die in den vergangenen Jahrzehnten nahezu baufällig wurden und zu deren weiteren Nutzungsmöglichkeiten aktuell Ausschreibungen laufen. Ich bin gespannt und hoffe auf Wertebewusstsein einerseits gepaart mit Innovation andererseits, gewürzt mit einer Prise kulturellen Anarchiedenkens und dem Mut, unbequem zu sein. Etwas für die nächsten Generationen schwebt mir vor, ähnlich der Universität der gastronomischen Wissenschaften im oberitalienischen Städtchen Pollenzo, geführt von Slow Food.

Blick in einen der fünf Höfe ©casowi

Fontainebleau startete im 13. Jahrhundert wie so manches andere Châteaux oder Castle zunächst als reines Jagdschloss auf den Fundamenten einer Burg aus dem 11. Jahrhundert. Im Mittelalter entwickelte es sich dank weltgewandter, im wahrsten Sinne über den (Wildbret)Tellerrand hinausblickender Besitzer zu einer Perle der Renaissance. Man holte sich italienische Künstler, zunächst Rosso Fiorentino und nach dessen Ableben Francesco Primaticcio und ließ sie neuartige Kombinationen von Stuckaturen und Fresken anfertigen und die Räume mit Seiden- oder Ledertapeten, Gobelins sowie thematisch passenden Skulpturen schmücken. Dieser auch die anderen europäischen Adelshäuser beeindruckende neue Stil wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Historikern erstmals als die erste der zwei „Schulen von Fontainebleau“ bezeichnet.

Der Renaissanceflur ©casowi

Detail aus dem Renaissanceflur ©casowi

Die erste Schule von Fontainebleau: Die Kombination von Stuckatur und Fresko ©casowi

Der Ballsaal ©casowi

Minimalismus geht anders … ©casowi

Die zweite Schule begründete Heinrich IV., der ab 1590 flämische sowie französische Künstler an den Hof holte, deren Werke Szenen der antiken Mythologie thematisierten – oder auch erotische Phantasien. Vielleicht kennt Ihr ja das Bild der brustwarzenkneifenden blassen Damen … ein Nipplegate vergangener Zeiten.
Königs und Kaisers regierten nicht nur in prunkvollen Sälen, sondern zelebrierten auch die nicht essbaren Teile ihrer Jagdtrophäen in einer 74 Meter langen Galerie der Hirsche und ließen einen der vermutlich schönsten Ballsäle der Renaissance errichten (bereits restauriert und wieder zugänglich). Mit der Zeit entwickelte sich das Schloss entsprechend der epochalen Mode und der Vorlieben der jeweiligen Hausherren oder -damen weiter, bis der Gebäudekomplex schließlich ganze fünf Höfe umfasste. Besonders eindrucksvoll fand ich das Theater von Napoleon III., nur konnten wir leider im März noch keine Vorstellung genießen. Es gibt bei 105 Zimmern unendlich viel zu sehen – wie die bezaubernden Chinoiserien von Kaiserin Eugénie, Marie Antoinettes orientalisches Boudoir, das Feldlager-Zelt von Napoleon I. oder das in zitronigem Gelb gehaltene Kinderzimmer seines Sohnes mit hölzerner Wiege.

Napoleon Bonaparte ©casowi

Das Zelt Napoleons ©casowi

Das Kinderzimmer mit der Wiege Napoleons II. ©casowi

Wer gülden wohnt, speist auch von gülden dekoriertem Porzellan ©casowi

Königin Eugénie schwärmte für Chinoiserien – von Vasen … ©casowi

… über symbolträchige Insignien und Glücksbringer  … ©casowi

… bis hin zum Lüster. ©casowi

Im Theater des Schlosses … ©casowi

Blick zum Balkon des Theaters ©casowi

Deckenleuchter des Theaters ©casowi

Wie schön und ruheverheißend muss es doch sein, eines der kleinen Ruderboote über den See gleiten zu lassen, mit einem Heißluftballon über das ausgedehnte Gelände zu schweben oder den Vorläufer des heutigen Tennisspiels zu erlernen. Das „Jeu de Paume“ unterschied übrigens witterungsbedingt zwischen dem „Longue Paume“, einem großen Spielfeld im Freien, und dem „Courte Paume“ in einer Halle. Hinzu kommt ein weitläufiger Park (den man kostenlos besichtigen kann) mit Wasserspielen, Skulpturen und akkurat gepflanzten und gepflegten Bäumen. Seit 1981 ist Châteaux Fontainebleau UNESCO-Weltkulturerbe.

Vermutlich kann und sollte ich beim nächsten Besuch ruhig mehrere Tage in Fontainebleau verbringen – das Städtchen selbst ist schon bezaubernd mit hübschen Läden, einem altmodischen Karussell und sicherlich guter Gastronomie. Das Wort „verweilen“ fällt mir ein, wenn ich an diesen Ort denke – es ist ein wenig aus der Mode gekommen. Und doch ist es vermutlich genau das, was auch mal Ruhe und Entspannung einkehren lässt, wenn das Leben gerade mal wieder ein bisschen sehr anstrengend und multiprojektal ist. Eichenwaldspaziergänge im Schlossgarten – das klingt doch nach einem guten Plan für den Herbst …

… und gleich steigt Mary Poppins auf … ©casowi

Châteaux Fontainebleau ist bis auf den 1. Januar, 1. Mai und 25. Dezember ganzjährig außer dienstags geöffnet. Der Eintritt für Kinder und junge Menschen bis 25 Jahre ist frei, Erwachsene zahlen aktuell 11 EUR. Der Besuch des Schlossparks ist kostenlos und ganzjährig möglich. Es werden unterschiedliche Führungen angeboten und es steht ein mehrsprachiger 3D-Guide auf einem „Histopad“ zur Verfügung. Weitere Infos, auch zu aktuellen Ausstellungen oder Veranstaltungen wie das historische Kostümfest gibt es auf der Website.


Ich bedanke mich für die Einladung nach Paris anlässlich der Eröffnung der Saison Culturelle 2017 herzlich bei Atout France und seinen Partnern. #feelfrenchculture

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fasziniert von Menschen und deren Geschichten, Reisen, Wein, Food, Musik, Sprachen und einigem mehr. Beruflich zertifizierter Business Coach, Introvision Coach sowie Konfliktmoderatorin.

3 Kommentare

  1. Helga Maria Wilhelm sagt

    Eine, wieder köstliche Einführung in eine andere Welt , eine andere Zeit und ihre Kunst und Architektur. Gerne nimmt man den Gedanken mit, dort ein paar Tage zu verbringen, um die Atmosphäre der Kultur Frankreichs auf sich wirken zu lassen.

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