Mehr als die Hälfte des Trentino sind Waldflächen. Etwa 80 Auto-Minuten von Trento entfernt liegt das Val di Fiemme und in ihm ein Forst besonderer Güte: Der etwa 2.800 ha große Naturpark von Paneveggio. Dort wächst, was seit dem 18. Jahrhundert die Musik-Freunde in aller Welt bis in die höchsten Töne erfreut: Holz für Streich- und Saiteninstrumente. Genauer gesagt sind es Rotfichten, die zwischen 150 und 250 Jahre alt werden, bevor sie zu den Resonanzdecken von Gitarren, Geigen, Bratschen, Celli, Kontrabässen oder sogar Klavieren, Cembali oder Flügeln verarbeitet werden.
Etwa 2.000 Bäume werden jeden Winter geschlagen, nur ein Prozent weist die perfekte Qualität auf, die weltweit für den Instrumentenbau benötigt wird. Die Stämme werden in Handarbeit zu Scheitern zerkleinert und lagern zunächst ein halbes Jahr im Freien.
Dem weiteren Trocknungsprozess erliegen sie einige Jahre gut belüftet (und mit hübschem Ausblick) in den Holzregalen der Xylothek. Jeder Jahrgang wird mit einer speziellen Farbe von Reißzwecke gekennzeichnet – ein wunderbar einfaches und doch effektives Farbleitsystem.
Die Reife und Qualitätsmerkmale der Holzscheite werden regelmäßigen Sinnesprüfungen unterzogen. Zunächst muss das Holz über eine besonders feine und regelmäßige Maserung verfügen – die Jahresringe sollten überaus eng gewachsen sein, es dürfen weder Harzausblutungen noch Spuren möglichen Pilzbefalls per Geruch oder auch optisch erkennbar sein. Im Laufe des Trocknungsprozesses wird jedes Holzscheit zudem immer wieder einer akustischen Prüfung unterzogen.
Das Holz des Paneveggio ist viel leichter als vergleichbare Rotfichtenhölzer. Die Resonanzdecke einer fertigen Geige beispielsweise wiegt nicht mehr als 50 bis 60 Gramm, muss aber sehr elastisch sein und einem Druck von etwa 50 bis 60 kg (durch den Bogendruck verursacht) standhalten. Und für den Klang eines Instruments ist nun mal in erster Linie seine Decke verantwortlich – die Seitenteile und der Boden dienen eher der Mechanik und Stabilität und sind meist aus Ahornholz gefertigt. Die schwarzen Griffbretter, Kinnhalter und Wirbel der Streichinstrumente wiederum sind meist aus Ebenholz, das besonders hart und somit widerstandfähig ist.
Etwa 70 bis 80 Prozent der Rotfichtenstämme werden traditionell behandelt und somit nach dem Schlagen zunächst an der Luft und schließlich in den Xylotheken gelagert und getrocknet. Ein anderes Verfahren produziert sogenanntes „Gewaschenes Holz“: Die Stämme werden für sechs Monate in einem Wildwasserbach gelagert. Durch die Wassereinwirkung werden die Hölzer kontinuierlich bewegt und beginnen so schon in Mikrovibrationen zu schwingen. Wird das Holz später weiterverarbeitet, verhält es sich, als wäre es bereits gespielt worden. Herkömmlich gebaute Instrumente sind also zunächst härter und müssen – ähnlich einem Motor in einem neuen Auto – einige Zeit eingespielt werden, in denen sich ihr Klang endgültig entwickeln kann. Der zweite positive Effekt der gewässerten Hölzer basiert auf einer chemischen Reaktion, der Osmose. Die in den Holzfasern vorhandenen Mineralien werden durch das Wasser herausgelöst – so wird das Holz weicher und kann seinen Klang ungehinderter entfalten. Es besteht allerdings die Gefahr, dass das Holz nach der Wasserbehandlung anfälliger für Pilzinfektionen ist.
Die dritte Holzqualität gibt es wie das „Gewaschene Holz“ nur in geringen Mengen: Das „Lunarholz“ – Mondphasenholz – wird jeweils am 21. Dezember des Jahres geschlagen, wenn der Mond in einem ganz bestimmten Winkel zur Erde steht.
Früher wurden übrigens fast alle Stämme über den Wasserweg zu den bekannten Geigenbauern wie Stradivari und Guarnieri nach Cremona transportiert wurde, wo die Meister ihre Wahl trafen. Heute hingegen erwarten die Hüter des Paneveggio auch die japanischen Einkäufer der Resonanzdeckenhölzer vor Ort im Trentino.
Das habe auch etwas mit Wertschätzung zu tun, erklärte Giuliano Zugliani. Er ist als Förster verantwortlich für den „Wald der Geigen“. Jedes seiner Worte bestätigte, welche Leidenschaft er für den von ihm verwalteten Naturpark fühlt – und mit welcher Demut er der Natur und ihren Kräften begegnet.
Seine philosophischen Gedanken begleiteten auch das Mittagessen in der Capanna Cervino, einer Almwirtschaft am Passo Rolle.
Mit Blick auf die Stelen von San Martino di Castrozza diskutierten wir über Segen und Fluch des Tourismus, über Klimaveränderungen und ihre Auswirkungen und über die Einwanderung bislang nicht vorhandener Insekten sowie das Pro und Contra des seit 25 Jahren bestehenden Jagdverbots in der Gegend. Der Wildbestand sei dadurch so stark angewachsen, dass nun die Schäden in den Wäldern, insbesondere natürlich bei den Jungpflanzen, kaum noch in den Griff zu bekommen seien. Dass wir dabei nach einem wunderbaren Antipasto-Teller mit Käse, Schinken und Salami aus dem Val di Fiemme ausgerechnet Pasta mit Hirschragout essen, war einer dieser Momente, die einem Visconti-Film entsprungen sein könnten.
Vielleicht war es also auch nicht weiter verwunderlich, dass allmählich ein Gewitter aufzog …
Ich bedanke mich bei Trentino Marketing und Val di Fiemme herzlich für die Einladung.