Da saß nun Jonas Jonasson in pinkem Hemd und gleichfarbigen Sneakers im komplett abgedunkelten Carl-Orff-Saal des Münchner Gasteigs und las aus seinem neuesten Buch Mörder Anders und seine Freunde nebst dem einen oder anderen Feind. Auf Schwedisch.
Und ich versank in seiner Stimme. Denn die klingt so wunderbar wie er schreibt. Und er schreibt ziemlich wunderbarissimo. Ich mag Jonassons Um-Ecken-Denken ebenso wie seine Leidenschaft, uns Lesern immer noch ein kleines Häppchen mehr an Wundersamen in liebevoll ausgekleideten Steilkurven zu offerieren. Sein Hundertjähriger, der aus dem Fenster stieg und verschwand, erhellte mein Gemüt in finsterster Zeit und gab mir damals ein kleines bisschen der liebevoll schrägen und überaus humorvollen Gedankengänge zurück, die ich gerade eben erst für immer verloren hatte. Eine Bucherfahrung wie diese bindet in so einer Situation und ließ mich natürlich auch das Folgewerk lesen: Die Analphabetin, die rechnen konnte. Ebenfalls auf überaus intelligente und kurvenreiche Art unterhaltsam und spannend.
Die jetzt beschriebene Figur des Mörder Anders basiert auf einer etwa vierzig Jahre alten Moritat, die die letzte in Schweden vollzogene Hinrichtung zu Beginn des 20. Jahrhunderts thematisiert. Als Jonasson die ersten Takte kurz anstimmte, hätte ich ihn vermutlich auf der Stelle geehelicht, so dies gerade möglich gewesen wäre. Diese Stimme, diese Charme! Auch Fünfzigjährige haben eben noch ihre Justin-Bieber-Momente.
Mein Schwedisch beschränkt sich jedoch auf drei wesentliche Worte und so war es dann doch recht angenehm, dass Heikko Deutschmann einige Passagen aus dem Buch vorlas. Obwohl: Eigentlich stellte er sie schon fast szenisch dar. Großartig, auf alle Fälle! Zurück also zum Mörder und seinen Freunden. Mörder Anders wird bei Jonasson nach Jahrzehnten aus der Haft entlassen und mietet sich in ein Hotel ein (das natürlich früher ein Puff war). Dort lernt er den engstirnigen Rezeptionisten Per Perrson und die herrlich wirre und zugleich bauernschlaue Pfarrerin Johanna Kjellander kennen. Die Drei gründen eine Körperverletzungsagentur. Es wäre kein Jonasson, würde er nicht beim Florieren der Agentur wieder eine herrlich absurde Wendung einbauen: Er lässt den ruchlosen Verbrecher gläubig werden. Was natürlich zu allerlei Komplikationen führt. Und neuen Wendungen. Aber das sollte jeder sich selbst erlesen. Nur so viel sei noch verraten: Das Buch ist im Gegensatz zu seinen Vorgängern absolut atomwaffenfrei. Dafür zeigt es den Facettenreichtum der Argumente für und wider die Gläubigkeit und des Glaubens. Zeitgemäß. Erstaunlich, dass der Autor in seinem Heimatland von den kirchlichen Institutionen dafür nicht angeprangert und verdammt wurde, sondern vielmehr zu öffentlichen Gesprächsrunden eingeladen wurde. Das spricht doch sehr für die schwedische Diskussionskultur.
Jonasson öffnete uns an diesem Abend ein wenig sein sonst recht fest verschlossenes Seelenschatzkästchen. Klar, der Mann war vor der Autorenkarriere Journalist und baute gemeinsam mit einem Freund eine der bedeutendsten Medienagenturen Schwedens mit mehr als 100 Mitarbeitern auf. Natürlich versteht er sein Geschäft. Und dennoch wirkte er überaus glaubwürdig, als er zugab, die ersten Wogen des Erfolgstsunamis des Hundertjährigen nicht realisiert zu haben, da er zu diesem Zeitpunkt sein eigenes Scheidungs- und Sorgerechtdrama durchleben musste. Und dass es ihn allerdings riesig freute, wie stolz seine betagten Eltern nun auf ihn waren, da er seine Vision, eines Tages Bücher zu schreiben, realisiert hatte. Es berührte ihn – und das war auch an diesem Münchner Abend noch spürbar.
Jonasson hat einen Burn-Out hinter sich. Eine solche Lebensphase weicht die härtesten Erfolgsstrategien auf und erzwingt unabdingbare Ehrlichkeit gegenüber sich selbst. Und vermutlich ist es das, was diesen Schweden so bezaubernd macht: Da sitzt ein Mensch, kein millionenscheffelnder Super-Performer.
Ein Mensch, der sich eben auch um den Verbleib seines Koffers sorgt, wenn Anschlussflüge zeitlich knapp werden. Aus der Erfahrung, dass jüngst sein Gepäck in London weilte, während er in Madrid las. Und als es dann nachgesendet worden war, schickte ein besonders findiger Mitarbeiter der Airline das gute Stück stante pede vom südlicheren zurück ins nördlichere Königreich. Als nun am Morgen unserer Lesung sich der Flug von Gotland (wo Jonasson mit seinem Sohn einen alten Bauernhof bewohnt – Bullerbü lässt vermutlich auch noch etwas grüßen) nach Stockholm verzögerte und die Umsteigezeit nach München sich bedrohlich verknappte, fragte sich der gebrannte Schwede doch einen Moment lang besorgt, ob der Koffer es diesmal wohl doch noch an seinen Bestimmungsort schaffen würde …? Und schon meldete sich Allan Karlsson zu Wort, der berühmte Hundertjährige, der immer auf Jonassons rechter Schulter sitzt und ihn nach all den Jahren immer noch siezt. Und er sprach mit salbungsvoller Stimme: „Herr Jonasson – Ihr Koffer wird in München ankommen.“ Generalpause. „Oder auch nicht.“ Ich mag Herrn Karlsson sehr.
Als ich nach der Lesung in der Widmungswarteschlange das Buch aufschlug, fiel mein Blick auf die Beschreibung einer Situation, in der eine Musikbox eine wichtige Rolle spielt. Und als die Autogrammjäger vor mir die ausführlichen Erläuterungen zu ihrem 10.000 qm großen Grundstück in Schweden schließlich beendet hatten und ich endlich vor Jonas Jonasson stand, sagte ich: „I’m so sorry: I do not own a house in Sweden. But I am very happy to learn from page 69, that you don’t like the music of Julio Iglesias either!“ Und Jonas Jonasson freute sich und lachte herzlich.
Und dann schrieb er mir eine Widmung ins Buch, die er sicher noch niemals zuvor jemandem in eines seiner Bücher geschrieben hatte und auch nie wieder jemand anderem in eines seiner Bücher schreiben wird – ganz sicher!
Für diesen herrlich entspannenden Abend danke ich dem Penguin-Verlag, der mich zu der Lesung eingeladen hatte. Dieser Beitrag is slightly von Charme und Können des Bestsellerautors beeinflusst und journalistisch daher keineswegs sauber. Und das liegt nur an diesem hundertjährigen Schweden, der auf Jonassons Schulter sitzt und schon bald in einem TV-Film seinen 101-ten Geburtstag feiern wird. Ich freue mich auf ihn.
Hallo liebe Catharina, Sie sind die allererste Frau, der ich einen Kommentar schreibe. Leider muß ich Sie sehr enttäuschen, ich habe in Hamburg in meinem Buch (deutsch) die selbe Widmung bekommen wie Sie. In meinem Buch (Mörderer Anders – schwedisch) den selben Text auf schwedisch. Ich kann ein Glück schwedisch !!! Der Mann ist einfach hinreißend und schwedisch einfach und dort bekommen alle solche lieben Worte. Nicht traurig sein, ich freue mich jedenfalls recht doll darüber. Freundliche Grüße (nicht with love) von Anke von der Ostsee
Liebe Anke an der Ostsee,
danke für die Ehre des allerersten Kommentars!
Auch wenn ich jetzt natürlich für immer und ewig völlig untröstlich sein werde, hatte ich es doch fast schon geahnt, dass selbst ein so brillanter Autor wie er sich ab und an wiederholt. Und sei es eben nur bei Buch-Widmungen. Ich werde versuchen, ganz ganz tapfer zu sein und es vermutlich irgendwann auch schaffen, darüber hinweg kommen. 😉
Eines muss ich jedoch gestehen: ich beneide Sie um Ihre Schwedisch-Kenntnisse! Denn ich finde es immer bereichernd, eine andere Sprache zu verstehen und sich in ihr ausdrücken zu können.
Viel Freude beim Lesen des Buches und herzliche Grüße an die Ostsee!
Catharina