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Mitmischen bei kinokino: „Kim hat einen Penis“.

[Unbezahlte Werbung] Als der Bayerische Rundfunk (BR) Anfang Juni in seine Studios zur Aktion #BRmitmischen einlud, um mit seinem Publikum in direkten Austausch zu treten, erhielt ich auf meine Bewerbung hin einen Platz im Besuchsteam bei kinokino. Das Format versteht sich als kritisches Filmmagazin mit einem Schwerpunkt auf deutschen Produktionen und dem Blick auf Trends. Es feierte jüngst sein 40-jähriges Jubiläum und ist damit die langjährigste Kinosendung Deutschlands. Die wöchentliche On-Air-Sendezeit ist auf 15 Minuten beschränkt, vertieft werden manche Beiträge zusätzlich online. Die TV-Ausstrahlungen laufen dienstags um 21:45 Uhr auf 3sat und mittwochs um 0:15 Uhr im BR Fernsehen, alle Beiträge sind 180 Tage online abrufbar.

Sende- oder Empfangsmast? Hätte ich besser mal nachgefragt … (© casowi)

Gregor Wossilus, seit mehreren Jahren Mitglied der sechsköpfigen kinokino-Redaktion, diskutierte mit uns vier Mitmischer_innen eingangs die Frage, ob sich die Filmbranche sich in einer Krise befände. Er zeigt sich überzeugt: Nein – auch wenn sich viel verändert hat. Blieben erfolgreiche Filme früher meist über mehrere Monate auf dem Spielplan der Kinobetreiber, so sei heute eine Verweildauer von drei bis vier Wochen überaus ungewöhnlich. Die meisten Werke treten bereits nach einer Woche ihren Weg in die weitere Verwertungskaskade an: TV und Pay-TV, dann die Streamingdienste und natürlich Blu Ray und DVD. Der Hauptumsatz wird jedoch im Regelfall am ersten Spieltag eingespielt.

Wandkunst im Atrium in einem der BR-Gebäude in München-Freimann. (© casowi)

Etwa zehn neue Filme gehen aktuell pro Woche an den Start um die Gunst ihres Publikums, gute 520 pro Jahr. Ist Filmkritiker also ein Traumberuf? Ja, aber auch harte Arbeit: 47 Sendungen sind es pro Jahr, dazu gibt es wöchentlich Short Cuts online. Zwei bis drei Filme stellt kinokino wöchentlich vor. Für die Redaktion gilt dabei strikte Häppchenabstinenz: Jeder Film, der etwa einen Monat die redaktionelle Vorauswahlrunde übersteht und somit rezensiert wird, wird komplett betrachtet – meist von einem und nur in Ausnahmefällen von mehreren Redakteuren. Häufig werden den Redakteuren Streamlinks zugeschickt, die selteneren großen Pressevorführungen in Kinosälen funktionieren über eine nur ein einziges Mal abspielbare Festplatte, die vom Verleih zur Verfügung gestellt wird. Und bei manchen Produktionen müssen die Journalist_innen ihre Smartphones vor der Vorführung abgeben und mit Nachtsichtgeräten wird kontrolliert, ob nicht doch jemand in piratöser Absicht versucht, den Film mitzuschneiden. Klingt gleich ein bisschen nach einer James Bond-Szene, nicht wahr? Neben den Filmrezensionen beleuchtet die kinokino-Redaktion ab und an auch wirtschaftlich oder politisch relevante Themen aus der Filmindustrie wie drohende Monopolstellungen oder die #MeToo-Debatte. 
Auf den großen Filmfestivals sind meist mehrere Redaktionsmitglieder präsent, auch, weil der BR sich an manchen Festivals beteiligt und somit nicht nur in den Kinosälen präsent ist. In Cannes oder Berlin kann das tägliche Filmkonsumvolumen pro Redakteur_in durchaus sechs bis acht Produktionen betragen – wenn man bedenkt, dass Interviews, Beitragserstellungen und der Besuch von Pressekonferenzen und weiteren Veranstaltungen hinzukommen, fällt der coole oder gar romantisch erscheinende Aspekt recht schnell weg.  Alle Team-Mitglieder arbeiten zudem noch in anderen TV-, Radio- oder Online-Redaktionen des BR in Teilzeit oder sind nebenberuflich selbstständig tätig. Vielseitigkeit und die Fähigkeit zur Selbstorganisation sind also relevante Bestandteile des Berufs.

Notizen zum Film während unserer „Redaktionssitzung“. (© casowi)

Bei #BRMitmischen geht’s jedoch nicht nur um pure Infovermittlung zum Ablauf der einzelnen Programmangebote, sondern auch um aktives Erleben und Mitgestalten in der Light-Variante. Und so kam unser Viererteam in den Genuss, den Film Kim hat einen Penis anzusehen – um anschließend eine Rezension zu verfassen. Es ist das fünfte Werk des Filmemachers Philipp Eichholtz (1982 in Hildesheim geboren), wurde innerhalb kurzer Zeit mit wenig Budget gedreht und kam am 13. Juni in die Kinos. Der Plot klingt einfach: Die junge Pilotin Kim lässt sich in der Schweiz einen Penis anoperieren und überrascht damit ihren Lebenspartner Andreas. „Ich war neugierig“, erwidert sie recht banal auf Andreas’ Frage nach dem Beweggrund.

Martina Schöne-Radunski und Christian Ehrich in einer Szene aus „Kim hat einen Penis“. (© USM.one)

Und dann beginnt der Film die Vielschichtigkeit  des Themas zu zeigen: Humoreske Elemente erinnern dezent an Loriot, Paar-Dialoge an schwermütige Ingmar Bergman- oder frühe Woody Allen-Filme, rasche Videoclip-Kunst mischt sich mit Szenen, die mit großer Ruhe in Selbstreflexion kommen und verharren lassen. Und immer wieder zeigt sich die pure Neugier am Neuen und Andersartigen und stellt die Frage von der Macht, die das Tragen eines Penis zu ermöglichen scheint. Oder ist es doch „nur“ Rücksichtslosigkeit? Die Eindrücke des Mitmischer-Teams sind hier nachzulesen. Wir waren uns hinsichtlich der hohen Überzeugungskraft der Darsteller_innen einig und doch zeigte sich ganz wunderbar, wie unterschiedlich Filme wahrgenommen werden. Ob und wie sie berühren, welche Fragen sie stellen oder beantworten. Bei der kleinen Diskussion über die persönlich meistgeliebten Streifen sowie die unangenehmsten Filmerinnerungen wurde eines rasch klar: Kinofilme erreichen unsere Emotionen. Und wir alle empfanden es als schön, mal innezuhalten und über das eigene Film-Erleben zu reflektieren.

Gesund und schmackhaft: Die Kantinenerfahrung im BR. (© casowi)

Gregor Wossilus antwortete auf meine Frage, was er sich für die Zukunft wünscht: „kinokino soll seinen 50. Geburtstag feiern dürfen“. Ob es dann noch Lichtspielhäuser geben wird, stellt er in Frage – vielleicht sind es bis dahin komplett andere Formate und Möglichkeiten, die uns in die Plots mitnehmen. Nicht ändern sollte sich aber das kinokino-Team: „Wir sind gut eingespielt, ja fast schon wie eine Familie“.   

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Ich bedanke mich beim Bayerischen Rundfunk herzlich für die Einladung zur Teilnahme an der Aktion #BRmitmischen.

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