(un)sinniges, Innenreise
Kommentar 1

Eine Zahnbürste. Mehr nicht.

Ihre Zahnbürste nimmt sie mit.
Mehr nicht.
Nicht mehr.

Sie ist jetzt deutlich über 90 Jahre alt. Noch immer eine wunderschöne Frau. Sie hat wirklich gelebt. Sie kann zuhören und sie war nie ein Plapper-Typ. Sie „machte etwas mit Medien“ – und das sehr sehr gut und anerkannt.  Vor 25 Jahren überlebte sie schwerverletzt einen Autounfall, anders als ihr Mann. Ja, sie trauerte und sie fand dennoch zurück in ihr eigenes, schlagartig so verändertes Leben.
Nun hat sie doch noch der Krebs erwischt. Diese Macht, die nur eines kann: zerstören.

Vorgestern also ging sie ins Hospiz.
Auf ihre letzte Reise – und wohl auch ihre größte.
Auf die besorgte Frage einer Freundin, wie sie denn mit ihrem Gepäck dorthin käme, antwortete sie lachend: „Gepäck? Ich nehme doch nur meine Zahnbürste mit.“

Nur eine Zahnbürste.

Nur eine Zahnbürste.

Ich frage mich seither: was würde ich mitnehmen auf diesen Weg?
Was ist es, das mich auf den letzten Metern des Lebens begleiten könnte? Wird?
Bücher vielleicht – zumindest eines. Das fiel mir spontan ein. Aber welches? Welches wäre mein letztes Buch? Welches würde ich unbedingt noch lesen oder doch zumindest beginnen wollen. Oder noch mal lesen?
Ich würde also die Lesebrille der Zahnbürste beilegen.

Fotos könnten es sein. Aber welche Fotos? Wessen Fotos? Hätte ich überhaupt das eine Album, in dem alles wesentliche enthalten ist? Einzelne Fotos könnte ich benennen  – klar. Aber das Album meines Lebens? Vielleicht wäre es gar keine so schlechte Idee, zum jeweiligen Jahresende die zwei Fotos meines Jahres in ein Album zu kleben: den Menschen und den Ort des Jahres. Vielleicht. Wobei die wichtigen Fotos sich doch tief im Inneren der Pupille eingebrannt haben. Überflüssig, also.

Schmuck? Vermutlich meine Immer-Halskette und meinen Immer-Ring. Aus Gewohnheit.

Bekleidung für den Sarg? Macht man sich über so etwas Gedanken? Werde ich sie mir machen? Momentan würde ich es verneinen. Und wenn schon, dann sicher gemütlich und nicht edel. Aber unwichtig. Verbrennt oder wird verwurmt. Hülle eben.

Was wäre es noch? Mobile Devices? Nein. Es gibt Grenzen für mich. Es gibt nichts Intimeres als den Tod.

Vielleicht Briefpapier. Und ein Bequemstift – leicht schreibend, leicht zu halten. Für die Gedanken, die mir dann noch so am Herzen lägen, dass ich sie wem auch immer noch mitteilen wollen würde.

Musik. Ja, Musik würde ich wohl mitnehmen. „Musik ist seelisches Asyl“, sagte wohl Reiner Kunze. 1. Brahms. Das Mozart Requiem. John Dowland? Sicherlich Bachs BWV 127. „Die Seele ruht“. Weil es schön wäre, ihn im Ende ähnlich nah dabei zu wissen wie im Anfang.

Auf jeden Fall werde ich beim Einpacken der Zahnbürste an unsere Freundin denken.
An diese wunderbare Frau, die mir sehr fehlen wird.  Deren Lebensende ich schon jetzt betrauere – auch wenn es sich rational alles wunderbar erklären lässt.

Vielliebe Freundin – ich denke an Dich.
Ich bewundere Dich und Deine Haltung.
Ich habe unsere Begegnungen und Gespräche sehr genossen. Viele davon verinnerlicht.
Ich wünsche Dir die nötige Gelassenheit, Ruhe und auch Kraft auf dem Dir nun bevorstehenden Weg.
Ich hätte mich gerne persönlich verabschiedet und mit Dir gesprochen. Und zugleich verstehe ich, dass Du Dich zurückziehst. Es ist Dein Weg und nie hattest Du mehr als jetzt das Recht, ihn nach Deinem Willen zu gehen.

Es wird mehr von Dir bleiben als Deine Zahnbürste.
Viel mehr.

Danke dafür.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in: (un)sinniges, Innenreise
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fasziniert von Menschen und deren Geschichten, Reisen, Wein, Food, Musik, Sprachen und einigem mehr. Beruflich Business Coach, Konfliktmoderatorin und PR-Dozentin.

1 Kommentar

  1. 24. Mai 2012.
    Jetzt bist Du hinüber gegangen.
    Und ich glaube, heute ist auch der Tag Deiner Geburt.

    Liebe Eva, hab Dank für alles, was Du uns gegeben hast.
    ♥♥♥

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