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Das kleine Mädchen und Hector Berlioz.

Vor gut 35 Jahren lag ein kleines Mädchen abends bei aufziehendem Gewitter im Bett. Das Mädchen hatte Sommersproessen und rote Haare, wohnte mit ihrer Familie direkt am Waldrand und liebte es, bei abendlichen Gewittern das Fenster zu öffnen und Radio zu hören. An Donnerstagen lauschte sie Hörspielen, die ihre Phantasie beflügelten, und freitags Konzerten mit klassischer Musik, die von Anfang an eine Selbstverständlichkeit in ihrem Leben waren.

Es muss also ein Freitag gewesen sein, an dem sie wieder einmal ihr vom Großvater geschenktes braun-metallenes Mono-Radio von Grundig anschaltete und im Bett lag. Nur noch ein bisschen hören und dann einfach wegdämmern… so wie kleinen schulgeplagten Mädchen das eben mal passiert.

Draußen blitzte es noch diminuendo und der Sommerregen war in ein wohlbekanntes Continuo übergegangen.
Was anders war, war die Musik. War das Filmmusik? Nein – dafür war schon der 1. Satz zu lang.
Die phantastische Sinfonie von Hector Berlioz, op. 14, hatte die Sprecherin angesagt. Und: „Episoden aus dem Leben eines Künstlers“.
Die Musik erzählte von einem Fest, einem Ball vielleicht. Von sich neckenden Menschen in abgeschiedener Stille einerseits. Und von großem Getümmel andererseits. Bissl kitschig – Liebesfilmgedöns, manchmal. Aber schön.
Dann klang es nach Landleben. Mit aufziehendem Donner. Aus dem sich richtig Bedrohliches entwickelt. Immer schlimmer wird. Sich um einen windet und böse ist. Fast bestialisch beklemmend endet. Einem den Atem raubt durch seine Gewalt.
Und schließlich wird’s zum Hexensabbath. Sie jagen durch die Töne, sie eifern und geifern und keifen und wuseln und sausen durch die Lüfte zwischen den Notenzeilen. Plötzlich dazwischen andere Töne: Glocken schlagen. Und das „Dies irae“ ertönt. Immer und immer wieder. Mit einer Macht, die einen gefangen hält.  Totenmusik eben. Und dann ist’s, als tanzten die höhnischen Hexen wild um die Grabstätte, um die Ruhe von ihrer Entfaltung abzuhalten.

Ich bin damals nicht eingeschlafen.
Ich war hellwach.
Und seither weiß ich, was sich hinter dem Begriff der Programm-Musik verbirgt.

Musik, die eine Geschichte erzählt.
Heute hab ich die Symphonie fantastique von Hector Berlioz (1803 – 1869) wieder einmal gehört.
Im Gasteig mit den Münchner Philharmonikern unter der Leitung des Kolumbianers Andrés Orozco-Estrada. Selten habe ich dieses Stück so lebendig, so wach, so perfide transparent in seinen alles vernebelnden Opium-Fantasien erlebt wie heute.
Und plötzlich war das kleine Mädchen wieder da. Für einen Moment von 50 Minuten. Das kleine rothaarige Mädchen mit seinen Sommersprossen, das einfach nur staunte, wieviel Erzählung dieser Musik innewohnte.

 

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fasziniert von Menschen und deren Geschichten, Reisen, Wein, Food, Musik, Sprachen und einigem mehr. Beruflich Business Coach, Konfliktmoderatorin und PR-Dozentin.

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