(un)sinniges, Kommunikation
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Für Trauer gibt es keine App.

Etwas mehr als sieben Wochen ist es her.
Und unendlich viele Ratschläge.
„Du musst doch unter Menschen.“
„Du kannst doch nicht ewig in Schwarz rumlaufen.“

Doch, ich kann.
Und ich muss keineswegs irgendetwas.
Trauer ist nichts, das sich vorschreiben lässt – weder zeitlich, noch inhaltlich, noch in ihrer Intensität.

Die Ratio begibt sich im wirklichen Trauerfall  in dauerhaften Kampf mit der Emotio.  So ist das zumindest bei mir im Moment.
Rationell gibt es tatsächlich Argumente, die ich von Anfang an gelten lassen kann: 85 ist ein Alter, in dem man gehen kann. Ja. Ein bis 10 Tage vor dem Tod unerkannter Krebs bedeutet auch Erlösung von einem erkannten, aber noch in seiner Tragweite völlig unabsehbaren Alzheimer-Verlauf. Definitiv. Den Weg ins immer tiefere Vergessen kann nur nachvollziehen, wer ihn persönlich erlebt hat. Zumindest ansatzweise. Alzheimer sollte öffentlich endlich entniedlichisiert werden! Auch wenn es Momente im Verlauf dieser Krankheit gibt, die Betroffenen und Angehörigen ein Schmunzeln oder sogar Lachen entlocken können – nichts daran ist so entzückend, wie es manchmal in den Medien gerne dargestellt wird. Dazu aber ein anderes Mal.

Trauer meldet sich eins ums andere Mal auf unterschiedliche Weise: Manchmal nahezu vorhersehbar und dann wieder heimtückisch und überfallartig. Manchmal flüstert sie, manchmal blökt sie Dich kurz an und ab und an brüllt sie wie ein schauriges Monstrum.
Trauer hat unterschiedliche Farben und diese wiederum unzählige Schattierungen. Sie streichelt Dich sanft oder haut Dir ihre Pranken tief ins Fleisch.

Diese berühmten „ersten Male ohne“. Wir haben noch viele dieser vor uns – offizielle Feiertage, persönliche Jahrestage.
Einigen wenigen konnten und mussten wir uns schon stellen. Ein paar davon haben wir gemeistert. Und dann erwischt ein anderes Mal dich hinterrücks, schnürt Dir die Kehle zu, nimmt Dir den Atem und schließt eine eiserne Klemme um das Herz, so dass Du keine andere Wahl hast und ein Konzert bereits nach dem ersten Stück verlassen musst.

Wer hilft einem am meisten in dieser Zeit – außer der Zeit? Die wenigen Menschen, die einfach nur sagen „Es ist in Ordnung. Du trauerst doch. Das dauert eben.“

Ja, es dauert.
Und es ist meine Zeit, um die es geht.
Kein Mensch hat das Recht, mir vorzuschreiben, ob und wie lange ich Schwarz trage. Ob ich Gesellschaft suche oder meide. Wann und ob ich die Zusage an einer Veranstaltung zurückziehe oder eben auch erst kurzfristig zusagen kann. Ob ich Ablenkung suche oder meide, Fotos aufstelle, Dokumente sichte,  und welche Musik ich hören möchte.

Es gab Tage, an denen ich ohne weiteres den Schlüssel meiner Wohnung in die Isar hätte werfen können, ohne vorher auch nur ein einziges Stück daraus geholt zu haben. Einen Menschen in und durch Sterbeprozess und den Tod zu begleiten macht auch deutlich, dass irdisches Gut wirklich nicht relevant ist. Es gab Tage, an denen ich das Wort „Witwenverbrennung“ gerne um den Begriff und die Handlung der „Halbwaisenverbrennung“ erweitert hätte. Es gibt Tage, die halbwegs an wiederkehrende Normalität erinnern und die nach vorne blicken lassen. Und es gibt Tage, an denen ich vieles für die Zukunft in Frage stelle und neu überdenke.

Für Tod und Trauer gibt es keine Apps.
Ratio und Emotio treten nach eigenen Gesetzen in Dialog.

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fasziniert von Menschen und deren Geschichten, Reisen, Wein, Food, Musik, Sprachen und einigem mehr. Beruflich Business Coach, Konfliktmoderatorin und PR-Dozentin.

6 Kommentare

  1. Liebe Catharina!

    Ja. Genauso ist es.
    Eine Situation, in der soviel gut Gemeintes eben nicht gut ist. Menschen reagieren auf Trauernde oft hilflos – nein, schlimmer: SIe verstecken ihre Hilflosigkeit hinter vermeintlich klugen Sätzen, aufmunternden Worten, tatkräftigen Schubsern….ohne hinzusehen, was der Trauernde wirklich braucht. Ohne einfach mal zu fragen und zur eigenen Hilflosigkeit zu stehen.

    Ich möchte dir erzählen von der Zeit nach dem Tod meiner Mutter – ich war 20, wir beide lebten bis dahin in enger Symbiose.
    Sie starb daheim, ich blieb zurück.
    Die eine Nachbarin klingelte in den Wochen danach fortan mindestens 5 Mal am Tag und wollte mich ständig betüddeln: Komm doch rüber zum Essen, magst du nicht spazierengehen, du kannst doch nicht einfach so alleine bleiben, lass dir doch helfen.
    Ich hielt die Höflichkeit nicht lange durch und keifte sie eines Tages wütend, trauernd und hilflos an, dass sie mich doch einfach in Ruhe lassen solle, ich könne dieses ungefragte Aufdrängen von Hilfe nicht ertragen.

    Und es gab eine andere Nachbarin – Mutter 2er Teenie Kinder, tolle Familie. Sie kam ein einziges Mal rüber, 2 Tage nach Mamas Tod. Und sie sagte: „Wir sind so traurig und so hilflos. Wir haben gestern lange Familienrat gehalten und überlegt, was wir tun können. Und deshalb: Hier ist unser HAusschlüssel. Wir ziehen uns jetzt erstmal ganz zurück – wenn du irgendetwas brauchst, dann komm. JEderzeit, Tag und NAcht, dafür der Schlüssel. Du musst uns dann halt nur sagen, was du von uns brauchst – diese Hilfe wünschen wir uns von dir!“

    Und so war es: Einmal ging ich einfach mitten in der NAcht rüber, um 2 Stunden unten bei ihnen auf dem Sofa zu schlafen und im Morgengrauen wieder in mein Heim zu gehen. Einmal ging ich Sonntag mittags rüber und bat darum, einfach schweigend mit zu Mittag essen zu dürfen. Einmal ging ich abends rüber und wollte nur stumm eine Zeitlang weinen und dabei sitzen, um dann wieder zu gehen.

    Ja, nur wir alleine wissen, was wir brauchen, wie wir trauern können und wie lange das währen darf. Ich kenn das gut, dass man sich völlig idiotischerweise ab dem Tag x zur Raison ruft und meint, jetzt doch bitte wieder funktionieren zu müssen.
    Nein, das müssen wir nicht! Nicht umsonst gabs eigentlich immer das TrauerJAHR! Es dauert. Und es kommt immer wieder.

    Heute noch – 28 Jahre nach dem Tod meiner Mutter – gibt es Situationen, wo ich sie unendlich vermisse und wo ich viel weine. Das ist so und das ist gut so.

    Alles Gute Dir weiterhin, Catharina!

    Herzlichst Bettina

    • Liebe Bettina,
      hab ganz herzlichen Dank, dass Du Deine Erfahrungen mit mir und uns teilst. Welche Gefühle Deinen Worte innewohnen, hätte ich bis vor kurzem nur erahnen können – heute weiß ich es.
      Ich glaube ebenfalls, dass das Vermissen vermutlich nie ganz aufhören wird. Und ich stimme DIr zu: das ist gut so. Denn letztlich ist es das schönste, weil aufrichtigste Kompliment, das wir jemanden machen können: seiner zu gedenken und sein Leben so zu würdigen und seine Liebe damit weiter wirken zu lassen.

      Auch Dir alles Gute!
      Beste Gedanken, Catharina

  2. Ach was. In Wahrheit kann man doch dazu gar nix sagen. Alle diese Meldungen und Reaktionen sind meistens nur Hilflosigkeit sich selbst gegenüber, weil man in Wahrheit zum Verlust eines Lebensmenschens eigentlich nichts sagen kann als Unsinn. Niemand kann das nachvollziehen, was da in einem vorgeht. Jeder fürchtet sich innerlich davor, wenn es ihm noch bevorsteht. Und deswegen wollen Leut‘, die dich mögen halt irgendwas Positives von sich geben.
    Und das schreibe ich, während ich meiner 90-jährigen Mutter innerhalb einer halben Stunde zum fünften Mal dasselbe sage…
    Nutzt eh alles nix, das Leben geht weiter. Und es wird wieder schön.
    Busserl aus Wien.

    • Lieber Knalli, Du wunderbare Wiener Seele!
      Ja – die Hilflosigkeit ist’s, die antreibt. Und ich hab sicherlich auch schon falsche Worte (oder gar keine) gefunden und werde die dann hoffentlich richtigen vermutlich auch wieder suchen…
      Hilflosigkeit ist ja auch nix verwerfliches – man darf und sollte sich ruhig den Mut gönnen, sie sich (und auch mal anderen) eingestehen zu können.
      Ich bussel Dich zruck und schick Dir und Deiner Mutter Bestwünsche ins schöne Wien (das meinem Vater immer innere Heimat war).

  3. Bonjour, mein aufrichtiges Beileid für den Verlust eines geliebten Menschen. Wer liebt, der leidet. Wenn der Schmerz des Verlustes einen trifft, ist man allein. Der Schmerz vergeht nicht, aber Du wirst einen Weg finden, damit zu leben. Dafür wünsche ich Dir alles Gute. Jener liebenswerte Mensch, egal ob Mama, Papa, Oma, Opa, Bruder, Schwester, das eigene Kind, ein guter Freund, eine gute Freundin, selbst nahestehende Bekannte machen uns zu dem, wer wir sind. Sie sind ein Teil unseres Lebens und werden es für immer bleiben. Sie haben uns begleitet, richtungsweisend geprägt und meist zu früh und unerwartet verlassen. Ich wünsche Dir viel Kraft. Freundlichst Mme Cardui

  4. Merci, werte Mme Cardui! Und ja: er hat mich sehr geprägt und wird für immer ein Teil von mir bleiben… Ich bin ihm für unendlich Vieles unglaublich dankbar.

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