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Zeit ist bunt. Oder: Das Hippiegefühl am Handgelenk.

Sie sahen völlig überraschend aus, fühlten sich ganz anders an und zogen in wilden Farbmixturen und wagemutigen Designs jede Menge Aufmerkamkeit auf sich: Als 1983 die ersten Uhren von Swatch auf den Markt kamen, war ich sofort begeistert. Denn bislang dominierten – zumindest gefühlt – die männlichkeitsmetalltriefenden Digitaluhren von Seiko oder Gediegenes aus Großmutters Zeiten in Schwarz-Weiß-Grau-Gold-Tönen den Uhrenmarkt. Solide Zeitmesser, ja – aber fernab jeglichen Hippiegefühls am Handgelenk. Gut, man kann natürlich darüber diskutieren, ob ein Hippie überhaupt jemals eine Uhr getragen hat oder hätte. Aber es fühlte sich irgendwie herrlich revolutionär und hippieesk an, als Medizinstudentin, die ja doch viel Zeit im weißen Kittel mit weißen Birkenstocks (damals definitiv das uncoolste Schuhwerk aller Zeiten, aber ein Must im Klinikalltag) auf Krankenhausstationen verbrachte, mit einer bunten Uhr etwas Lebensfreude ins Hospitalweiß zu bringen. Und als Studentin konnte ich mir 65 DM für eine dieser Quartzuhren in manchmal sogar transparenten Plastikgehäusen in ungewöhnlichen Designs und Farben auch gerade noch so über Monate hinweg vom kargen Budget abknapsen oder das Modell der Begierde als Geburtstagswunsch äußern. Und so trug ich bald voller Stolz meine durch und durch durchsichtige Jelly Fish.

Zwei meiner ersten Swatch-Modelle: Die transparente Jelly Fish und das grünblaue Piloten-Modell, das es sogar als Wanduhr gab. (© casowi)

Mit der Zeit erlangten die halbjährlich erscheinenden Modelle zunehmenden Kult-Status und bis heute sind sie in meiner Erinnerung Swatch-Uhren das allererste Must-Have mit übergroßem Begehrlichkeitsstatus. Richtig heiß umkämpft waren dann spätestens Anfang der 1990-er Jahre die ersten Chrono- und Scuba-Modelle – ich gebe offen zu, Freunde oder Kollegen mit Superkontakten zum Swatch-Händler ihres Vertrauens sehr beneidet zu haben.

Die Scubas: Bunt, heißgeliebt und unbetaucht. (© casowi)

Swatch Chronographen – gerne auch knallbunt. (© casowi)

Etwas albern, aus heutiger Sicht. Aber seinerzeit™, in den 1980-er und 1990-er Jahren, war das eben so. Und ja: Ich fühlte mich als echte Style-Queen, als besagtes Jelly Fish-Modell mein Handgelenk zierte, so durchsichtig wie eine Qualle eben. Mittlerweile hat sich das Material gelblich verfärbt (liegt nicht an meinen Sommersprossen, denn die sind noch wie damals) und trotzdem habe ich sie jetzt in liebevoller Erinnerung an ihre volle Transparenz angeblickt, als ich meine gar nicht so kleine Swatch-Sammlung aus den Schubladen zog. Der Anlass? Nein, es war nicht Marie Kondos Ausmistbibel, die mich dazu inspirierte, die alten Schätzchen auf ihre heutige Gültigkeit und Daseinsberechtigung zu prüfen. Es war vielmehr die Einladung einer lieben Freundin zur Präsentation eines neuen Swatch-Modells: der Skin Irony. Keine Frage: Da musste ich dabei sein.

Immer wieder ein wunderbarer Veranstaltungsort: Die Praterinsel in München. (© casowi)

Skindoree und Skinalliage – ein Pärchen der Skin Irony Kollektion. (© casowi)

Auf der Münchner Praterinsel wurden sie unter dem Motto #futureclassic vorgestellt, die neuen großen Kleinen. Flach sind sie, mit gerade mal 5,8 mm. Und leicht. Skinny eben. Was mich als Herrenarmbanduhrträgerin auf Anhieb begeistert hat: Alle acht Modelle der ersten Saison haben eine angenehme Größe – je zwei bilden ein Themen-Paar. Die Armbänder gibt es in Metallausführung, aus Leder oder Silikon. Die Designs sind nicht mehr so funky wie früher, dafür sind sie angenehm reduziert, damit recht zeitlos und zeigen sich vom maritimen Streifenlook über reduzierte Klassik oder mit diskreten Bling-Bling-Kristallen.

Die marinige Skinspring von Swatch. (© casowi)

Ich liebe ja den sommerlichen Matrosenlook und entschied mich daher für das ein wenig zungenbrecherisch aussprechbare Modell Skinspring. Gut: das Meer hat meine Skin Irony bislang leider noch nicht gesehen. Dafür umso mehr bayerischen Frühling in unterschiedlichen Facetten. Sie war schon auf der Zugspitze, bei der geliebten Runde am Weiher, hat im Garten die Beete und Terracottatöpfe neu bepflanzt, eine Wildkräuterführung im Wald brennesselfrei überstanden und beim Hochdruckreinigen der Terrasse sowie beim Besuch bei einer Geigenbaumeisterin jede Menge „good vibrations„ mitbekommen. Und weil sie nicht mehr so laut tickt wie ihre Vorgänger, ist sie auch tauglich für meine Coaching-Sitzungen. Denn dort sind ja die schweigsamen Momente meist die besonders wertvollen, da meine Klienten dann in neue Sphären ihres Denkens und Fühlens eintauchen. Wäre also schlimm, wenn diese Momente durch lautes Ticken unter Druck setzen anstatt den Gedanken ungestörten Lauf zu lassen.
Das Silikonarmband war zu Beginn etwas ungewohnt auf der Haut – ich hatte tatsächlich in den ersten Tagen ein paar Mal das Gefühl, der Verschluss habe sich geöffnet und die Uhr sei heruntergefallen. So angenehm leicht ist sie.

Schweizer Knallbuntitäten der Vergangenheit. (© casowi)

Wir wurden nie wirklich gute Freunde: Die Pop Swatches. (© casowi)

Die Zeiten der Knallbuntität mag vielleicht ein wenig zurückhaltender sein bei Swatch als früher – mir gefällt aber auch das neue Understatement. Passt gut, finde ich – wir sind ohnehin meist reizüberladen. Beim Durchsehen meiner Sammlung hatte ich übrigens zunächst vorübergehend ein wenig Schamesröte im Gesicht (aufgrund der gefühlten eigenen Maßlosigkeit) und dann freudig rote Bäckchen bei all den Erinnerungen, die mir sofort an einzelne Modelle einfielen: Die güldene Musicall, die ich in Kolumbien in einem wirklich versteckten Mini-Laden entdeckte, das Ravenna-Mosaike zitierende Modell, das meine Mutter für mich im Italienurlaub ergatterte, die grüne Earth-Hour-Automatic, die mich durch das medizinische Staatsexamen begleitete (und nicht nur einmal), die Scuba mit dem orangefarbenen Armband, die mir mein Chef im ersten Agenturjob schenkte … ich werde wohl demnächst zwei bis drei neue Batterien anschaffen und sie Ührchen-wechsel-Dich spielen lassen, denn die Lust an den alten Modellen kehrt wieder. Schließlich verspüre ich dieses Hippiegefühlsbedürfnis auch heute noch von Zeit zu Zeit.

… auch mal mit Metallarmband (das so herrlich ziepen konnte). (© casowi)

Batteriefrei: Die Automatics. (© casowi)

Die 10 Mark-Uhr! Die könnte ich doch eigentlich mal wieder … (© casowi)

Und dann gibt’s ja auch noch ein paar gänzlich ungetragene Exemplare. Was mir durchaus Disziplin abverlangte, denn als stolze Besitzerin wollte ich die noch ausgefalleneren Editionen der Collectors Club-Mitglieder (ich war unter den ersten 1.000 Mitgliedern namentlich erwähnt in der Club-Zeitschrift – Swatch verstand schließlich schon immer was von Marketing) ja eigentlich tragen. Was wiederum den Wert der Rarität deutlich geschmälert hätte. Also sah ich davon ab und die limitierten Schrillmodelle schlummern bist heute in ihrer zuweilen ebenfalls sehr farbenfrohen Hülle. Und harren ihrer Wiederentdeckung.

1990 gab’s die 1. Sonderedition ausschließlich für Mitglieder des Swatch Collectors Clubs. (© casowi)

… und im Jahr drauf wurde es bunt as bunt can. (© casowi)

Zeit bleibt bunt.
Wie Menschen.
Und Erinnerungen.
Ich mag das.


PRODUKTTEST: Ich bedanke mich bei Swatch für die Einladung zur Präsentation der neuen Skin Irony sowie das hier abgebildete und beschriebene Testexemplar. Die Kollektion wird ab der zweiten Maihälfte online sowie im Handel erhältlich sein.

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fasziniert von Menschen und deren Geschichten, Reisen, Wein, Food, Musik, Sprachen und einigem mehr. Beruflich zertifizierter Business Coach, Introvision Coach sowie Konfliktmoderatorin.

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