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Dresden-Hellerau: Der Rhythmus macht den Unterschied.

Dresden hat mich trotz fürchterlichen Winterschmuddelwetters bereits 2010 beeindruckt. In der Zwischenzeit bin ich der Stadt auch auf familiäre Spuren gekommen: Die vaterväterliche Mutter war in Dresden als Tochter des Solo-Cellisten der damaligen Hof- und heutigen Semperoper geboren und aufgewachsen. In einer Doppelhochzeit mit ihrer Schwester ehelichte sie meinen Urgroßvater und zog über mehrere andere Stationen schließlich nach München, wo sie 1949 verstarb. Erst vor wenigen Monaten entdeckte ich ihr Kulturtagebuch, in dem sie akribisch alle Theater-, Oper- und Konzertbesuche festhielt, immer unter Angabe des Datum und meist auch mit Nennung der Hauptdarsteller sowie ihrer Begleitpersonen. Diesmal schaffte ich es noch nicht, nach dem Geburts- und Wohnhaus von Marie − genannt Mimi − zu suchen, aber für den Nächstbesuch habe ich es mir fest vorgenommen.

Diesmal bot der Besuch des Europäischen Kulturzentrums Hellerau den Reiseanlass. Ich brachte Unterlagen meines verstorbenen Vaters in das dort beheimatete Deutsche Komponistenarchiv und gab außerdem gemeinsam mit Julia Landsberg, der Leiterin des Archivs, einem Redakteur des Deutschlandfunks ein Interview zur Vita und einigen Werken meines Vaters. Neben Notenmaterial und beruflicher Korrespondenz hatte ich auch drei monsterschwere und dennoch tragbare Tonbandgeräte (eines noch Magnetophon genannt) im Gepäck, die die technische Entwicklung der Tonaufnahme und Wiedergabe im letzten Jahrhundert hübsch widerspiegeln, wenn man bedenkt, dass es Ende der 1990er die ersten MP3-Player gab.  Was sich auf den Spulen verbirgt, bleibt noch abzuwarten − ich hatte mich nicht getraut, sie abzuspielen. Auf Expertenhände warten jedoch auch einige hundert Bänder unterschiedlicher Größen im Archiv, darunter Hörspielschatzmusiken aus den späten 1940er Jahren.

Tonbandgerät AEG

Magnetophon AEG

Tonbandgerät Saba

Hellerau selbst hat im wahrsten Sinne des Wortes eine bewegte Vergangenheit. 1911 wurde es als Bildungsanstalt für Rhythmik erbaut − wunderbare Schwarzweiß-Fotografien zeugen auf den Ausstellungstafeln von dieser Zeit, in der Mut zur Veränderung und Unmut über das Neue vermutlich Hand in Hand gegangen sein dürften. Ende der 1930er Jahre wurden die Gebäude zunächst in eine Polizeischule und schließlich in eine Kaserne umgewandelt und zum Teil räumlich etwas ergänzt. Nach Ende des 2. Weltkriegs diente das Gelände bis in die frühen 1990er Jahre dem sowjetischen Militär zunächst als Lazarett, später ebenfalls als Kaserne. Spuren wie die großflächigen und farbenfroh-militärischen Wandgemälde in den beiden Treppenhäusern des Festspielhauses zeugen bis heute von dieser Phase. Nach dem Umbau sind jedoch die schweren Stiefel und Marschrhythmen wieder den Ballettschuhen und angenehmer anregenden Tönen und Themen gewichen und so sind hier nun zeitgenössischer Tanz, neue Musik, Theater und Performances neben Ausstellungen bildender Kunst hier beheimatet. Und  Hellerau hat sich allmählich wieder zu dem begeisternden und verstörend modernem Festspielort gemausert, den es bereits zu Zeiten seiner nicht ganz unbekannten Besucher namens Rilke, Werfel, Hauptmann, Zweig, Shaw oder Kokoschka vor dem 1. Weltkrieg eingenommen hatte.

Die Räume des Festspielhauses wurden zwar restauriert, nehmen aber die Zeichen und architektonischen Gedanken der Vergangenheit sehr gut auf. So wurde auch das Beleuchtungskonzept der drei Säle erhalten bzw. wieder herausgearbeitet und nur geringfügig technisch ergänzt.

Grosser Saal Hellerau

Der seitlich gelegene Nancy-Spero-Saal verbindet gealterten Putz mit den Arbeiten der US-Künstlerin auf eine dezente und doch wirkungsvolle Weise.

Hellerau Nany-Spero-Saal

Detail Nancy-Spero-Saal Hellerau

Details Nancy-Spero-Saal Hellerau

Im Foyer und in den Treppenhäusern sind bis auf wenige Glasschirme übrigens noch die ursprünglichen Lampen erhalten − faszinierend nach diesem überaus bewegten Jahrhundert, in dem ja auch so manches Mal ein wenig geplündert wurde.

Deckenlampen Hellerau

Hellerau Lampen Eingang

Für den nächsten Dresden-Aufenthalt werde ich den Besuch einer Vorstellung oder Performance einplanen − der Spielplan bietet auf alle Fälle viele interessante Facetten.

Das Interview selbst fand dann im Zwischenarchiv des Dresdener Stadtarchivs statt.

Zwischenarchiv Dresden

Dresden Zwischenarchiv

DD Archiv Gang

Für mich war es die erste Wiederbegegnung mit dem Notenmaterial meines Vaters – noch dazu mit einem seiner intensivsten Werke, der Filmmusik zum 1981 gedrehten „Doktor Faustus“ nach Thomas Mann. Kurz gesagt: Es geht um das Leben und Schaffen des Komponisten Adrian Leverkühn, der einen Pakt mit dem Teufel schließt, um seinen musikalischen Genius zu perfektionieren.

Komponist, Regisseur und Produzent kamen nach intensiven Studien Mannscher Briefe und weiteren Überlegungen durch meinen Vater darin überein, dass die Musik nach dem Teufelsbündnis Werke von Benjamin Britten abbilden sollte. Und so oblag meinem Vater neben der Auswahl der passenden Britten-Werke auch die fordernde Aufgabe, den musikalischen Weg Leverkühns bis zu diesem Punkt zu gestalten, mehr oder minder also den Prä-Britten-Teil zu erschaffen. Das war sehr reizvoll für ihn, hatte doch Thomas Mann selbst einige Vorgaben in seinem Roman gemacht wie die Tonfolge „H – E – A – E – ES“ für „Hetera Esmeralda“ oder den Bezug zur Zwölftonmusik. Im Begleitbuch zum Film schrieb mein Vater seine musikwissenschafltichen Überlegungen nieder, die unter anderem das Magische Quadrat beinhalteten.

Faustus Musik Buch

Im Archiv begutachteten wir dann gemeinsam seine Umsetzung in Noten. Für mich eine Wiederbegegnung mit musikalischen Stilelementen wie Krebs, Umkehr und Tritonus (auch Teufelsakkord genannt).

Faustus Quadrat RAW

ScalaTritonica RAW Faustus

Spielt man diese Reihen auf einem Instrument nach, wird schnell klar, dass sie nicht unter dem Begriff „Ohrenschmaus“ zu verbuchen sind. Filmmusik darf den Zuschauer im Kino durchaus fordern, sollte ihn jedoch andererseits nicht überfordern. Sie dient ja dazu, der Handlung eines Films ein musikalisches Bett zu geben und sie so zu unterstützen. Eine Gratwanderung in diesem Falle. Mein Vater Rolf  Wilhelm vertonte für die Vorpaktphase unter anderem einen Auszug aus dem „Inferno“ Dante Alighieris „Göttlicher Komödie“ und ein Gedicht von Clemens Brentano und setzte − in den 1980er Jahren noch völlig unüblich − auch einen Countertenor ein. Herausgekommen ist eine seiner für mich besten und intensivsten Filmmusiken.

Die Vorbereitung beinhaltete für mich auch eine Zeitreise in das väterliche Tagebuch des Jahres 1981. Auf der Suche nach seinen Notizen zur Arbeit am Faustus fand ich natürlich auch viele persönliche Erinnerungen und Gedanken zu diesem Jahr, in dem ich volljährig wurde.
Und seine Zufriedenheit darüber, dass Hauptdarsteller Jon Finch glaubwürdig war als Komponist (er hatte ihn am Set notenschreibfit gemacht).

Tagebuch Faustus

Das Interview entstand im Rahmen eines Blickes auf das zehnjährige Jubiläum des Deutschen Komponistenarchivs in Hellerau. Es wird am 16. Mai um 22:05 Uhr im Deutschlandfunk ausgestrahlt werden.

 

 

5 Kommentare

  1. Margit Tepliczky sagt

    Betr. Dresden-Hellerau
    Liebe Catharina! Ich habe langmächtig meinen Senf dazu gegeben -wie ich mich freue, wie ich dir danke und wie ich dich bewundere usw – aber ich hab das dann natürlich wieder nicht abschicken können, weil ich dazu einfach zu blöd bin. Der Laci hat jetzt probiert, ob das wirklich sooo schwer ist: keine Spur.Nur ich kanns nicht, was ich in diesem Fall sehr bedauere. Vieleiicht probier ich es später noch einmal: die Geschichte hat mich sehr berührt.
    Margit

    • Liebe Margit, lieben Dank für Deine Worte! Und schau: es hat ja doch geklappt. Zumindest diesmal.
      Fühl Dich umarmt und grüß mir den lieben Laci! 😘

  2. Helga Wilhelm sagt

    Einfach so selbstverständlich gut , schön und nah! Danke. >

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